Sexarbeit - Lydia

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Lydia Interview

Was ist dein Fachgebiet? Welche Leistungen erbringst/welche Wünsche erfüllst du?
Ich biete eine schöne, erotische Zeit miteinander. Ich kann besser sagen, was ich nicht anbiete. Tabus sind bei mir alles, was in die dominante Richtung geht, sowohl aktiv als auch passiv. Und Dinge, die mit Körperflüssigkeiten zu tun haben - Urin und Kot sind tabu. Auch anal, sowohl aktiv als auch passiv - für solche Praktiken braucht es vielmehr Vertrauen. Und natürlich Dinge, die ohne Kondom stattfinden. Obwohl, wenn der Mann auf meinem Körper kommen möchte, ist das in Ordnung, aber ich steh’ nicht drauf.
Ansonsten massiere ich gern, ich mache alle Sachen im zärtlichen Bereich.
Ich gebe als Sexarbeiterin immer mehr, als nur den Körper, weil es eben nicht nur Sex ist, was bei mir stattfindet. Um erfolgreich zu sein, sodass die Kunden immer wieder kommen, ist es wirklich so, dass man mehr als nur Sex anbieten muss.

Was ist der Hauptgrund, warum Männer zu dir kommen?
Die erste Motivation ist wahrscheinlich ein Einsamkeitsgefühl, auch Einsamkeit innerhalb der Beziehung. Und der Wunsch, Zuneigung, Geborgenheit und Aufmerksamkeit zu erfahren. Einfach mal Mann sein zu können, aber ohne funktionieren zu müssen. Und dann gehen die Männer auf die Suche, weil sie vielleicht unglücklich in ihrer Beziehung/ihrer Ehe sind. Oder sie sind alleine und wollen Kontakt haben. Wenn sie mich dann finden, finden sie mich einfach besonders und sind neugierig auf mich. Und wenn sie dann bei mir sind, geht es definitiv nicht primär um Sex. Die kriegen ja im Vorfeld auf meiner Website mit, dass man sich mit mir unterhalten und intellektuell anregen kann.
Es gibt natürlich auch die Klischeefreier, die habe ich im Bordell kennengelernt. Da geht es um die schnelle Nummer, um Entspannung. Die, die ins Bordell kommen, die wollen ficken, das ist einfach so.

Wie ist dein Werdegang - wie und warum bist du zur Sexarbeit gekommen?
Ich habe 2004 im Alter von 23 Jahren damit angefangen. Den Gedanken hatte ich aber, glaube ich, zwei/drei Jahre vorher schon einmal. Und zwar gab es damals noch viel diese kostenlosen Anzeigenblättchen. So in etwa „Escortagentur sucht Kollegin“ - das fand ich schon mal spannend. Ich war sexuell schon immer sehr aufgeschlossen und dann habe ich bei so einer Anzeige einfach mal angerufen. Die haben mich aber gleich abgewiesen, weil ich keinen Führerschein hatte. Deshalb hatte ich da erstmal für ein paar Jahre den Haken dran gemacht.
Dann nach ein paar Jahren, ich war Single, habe in einer Anwaltskanzlei gearbeitet und nicht viel verdient. Das Geld wurde immer knapper und ich habe mal wieder nach den Anzeigen geschaut und bei zwei Agenturen angerufen. Ich hatte immer noch keinen Führerschein und bei der zweiten Agentur sagten sie, das wäre kein Problem, denn sie hätten einen Fahrer. Die Agentur wurde von einem Ehepaar betrieben, die habe ich dann getroffen und fand sie sympathisch. Die Frau hat vermittelt und der Mann ist gefahren. Von wegen Escortagentur - wir haben fast nur Hausbesuche in ganz Thüringen gemacht.

Wie war dann das erste Mal?
Bei meinem ersten Termin war auch die Frau mit im Auto und hat mich ein bisschen beruhigt, denn ich war sehr aufgeregt. Das erste Mal war dann schön, da habe ich wirklich Glück gehabt. Es war ein älterer Herr, sehr gepflegt, freundlich und respektvoll. Ich war zwar sehr nervös, aber schlussendlich war das für mich nur funktional, der Sex an sich. Wenn du jung und schön bist, kommen die Männer schnell, denn sie sind auch aufgeregt und dann kannst du auch schnell wieder gehen.

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Wie ging es dann weiter?
Ich habe zu der Zeit noch bei dem Anwalt und parallel bei der Agentur gearbeitet. Irgendwann habe ich durch das viele Tippen eine schlimme Sehnenscheidenentzündung bekommen, war lange krank geschrieben und dann hat mich der Anwalt gekündigt. Während der Krankschreibung habe ich schon gemerkt, dass mir die Sexarbeit echt Spaß macht. Leider bin ich von der Agentur nicht in Bezug auf Finanzamt, Versicherungen etc. aufgeklärt worden. Das hätten die machen müssen oder mich zumindest zu einer Beratung schicken.
Das mit den Hausbesuchen habe ich ein gutes Jahr gemacht. Dann bin ich umgezogen und wollte auch etwas anderes probieren. Ich habe in einem Wohnungsbordell angefangen und war nebenbei Harz IV - Empfängerin. Wohnungsbordell heißt - das war damals ein Haus, oben war ein Dominastudio und die restlichen Zimmer wurden vermietet. Dort habe ich auch ein gutes Jahr gearbeitet und immer noch nebenbei Harz IV bezogen. Dann bin ich noch einmal ganz kurz zu meiner alten Agentur, habe mir dann aber bald gedacht: „Anzeigen schalten kann ich auch alleine.“ Ich hatte allerdings immer noch keinen Führerschein, aber einen Freund, der damit gut klar kam und mich gefahren hat. Der war auch arbeitslos und so haben wir zusammen unser kleines Geschäft gemacht. Ich habe mir über die Zukunft keine Gedanken gemacht und mich natürlich auch schnell an das Geld gewöhnt.
In der Zeit habe ich auch angefangen, Pornos zu drehen. Der Anfang war superschön, ich habe dann allerdings auch ein paar Schattenseiten erlebt. Es gibt Produktionsfirmen, die nur auf den Profit aus sind, das ist dann nicht mehr so schön. Allein schon gesundheitlich - in Deutschland ist es so, dass alles ohne Kondom gedreht wird. Es werden zwar zur Sicherheit Tests verlangt, aber nur einen HIV - Test und der durfte sechs Wochen alt sein. Und Hepatitis C Test und der durfte sogar acht Wochen alt sein. Das war alles - ich habe mir dann auch zwei Sachen eingefangen: Clamydien und Feigwarzen, die musste ich mir unter Vollnarkose operativ entfernen lassen. Die Pornos habe ich zwei Jahre lang gemacht und war parallel auch im Bordell.
Jetzt habe ich eine eigene Wohnung für meine Arbeit gemietet und empfange fast alle Kunden dort. Manche Kund*innen besuche ich auch im Hotel.

Bist du Haupt - oder nebenberuflich Sexworker?

Durch die Pornos musste ich dann auch die Einnahmen versteuern und habe eine Nebentätigkeit angemeldet. Vollzeit mache ich die Sexarbeit seit 2021. Bis dahin habe ich immer auch andere sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten gehabt

Was magst du besonders an der Sexarbeit?
Die Dankbarkeit der KundInnen. Es ist der dankbarste Job, den ich kenne. Und das Vertrauen. Wenn die zu mir kommen, gelingt es mir relativ schnell, den KundenInnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie bei mir sicher sind und dass sie so sein können, wie sie sind. Und ich spüre auch, dass sie sich dann dementsprechend fallen lassen und mir voll vertrauen. Es ist unheimlich schön, wenn sie nach dem Treffen total entspannt und glücklich sind und sich wohl, sicher und geborgen gefühlt haben.

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Was magst du nicht?
Das Stigma, dass ich einfach nicht super offen mit meiner Arbeit umgehen kann. Es ist eine Arbeit, die ich über alles liebe, die mir wirklich Erfüllung bringt - aber zum Beispiel weiß die Mutter meines Freundes nichts von meiner Arbeit.
Oder wenn es nicht einmal Stigmatisierung ist, gibt es trotzdem so ein Bild, das die Menschen von Sexarbeit haben. Also, wenn ich neue Leute kennen lerne und das Gefühl habe, denen kann ich das erzählen und ich mach es, dann bekommt man diesen Voyeurismus. Das ist nicht einmal böse gemeint.
Ich habe etwas dagegen, nicht gleichwertig behandelt zu werden wie andere Menschen. Und ich habe etwas dagegen, bevormundet zu werden. Wenn mir jemand erzählen will, was gut oder nicht gut für mich ist - wie z.B. die Politik und SexarbeitsgegnerInnen. Sie behaupten entweder, dass ich nur ein Opfer sein kann oder Menschen ausbeute, indem ich selbst davon profitiere (wenn ich zu Demonstrationen gehe, würde ich die Sexindustrie unterstützen). Wenn ich auf die Straße gehe, geht es mir um bessere Arbeitsbedingungen für alle (auch die nicht super selbstbestimmten und glücklichen Sexworker). Das fängt bei den Gesetzen an - Angebot und Nachfrage müssten total entkriminalisiert werden.

Gibt es besonders eindrückliche Erlebnisse im Zusammenhang mit deiner Sexarbeit?

Was sehr Negatives war zum Beispiel als ich bei einem meiner Hausbesuche in eine sehr schmutzige Wohnung gekommen bin, das war richtig eklig. Und ich habe mich auch ein bisschen kriminell gefühlt, denn ich habe ihn in die Dusche geschickt mit dem Gedanken: „Ich hau’ jetzt ab.“
Und ein lustiges Erlebnis, damals in meiner Anfangszeit. Ich hatte bisschen Stress mit einem Kunden, er meinte, ich würde nicht so aussehen, wie er sich das vorgestellt hatte. Meine Chefin hatte mich zu diesem Termin gefahren - es lief immer so: ich bin in die Wohnung gegangen, habe mir das Geld übergeben lassen und bin ins Bad. Da hat mich der Kunde gleich runtergemacht, ich würde Zeit vertrödeln und hat mir das Geld aus der Hand gerissen. Dann habe ich die Chefin angerufen, die hat dann mit dem Kunden telefoniert. Schlussendlich war es dann so: ich sollte rauskommen und sie ist reingegangen und er wollte dann den Termin mit ihr machen. Witzig ist aber - sie war ja nicht darauf vorbereitet, dass sie jetzt arbeiten geht, hatte also auch kein Kondom und nichts bei sich. Ich habe dann also im Auto gewartet, sie kam nach einer Weile wieder und grinste und meinte, es sei überhaupt nichts gelaufen. Er wollte starten und sie hätte ihn gefragt, ob er ein Kondom da hätte, was er verneinte. Sie hätte ihm dann erklärt, dass sie ohne Kondom nichts machen könnten. Dann hat sie das Geld genommen und ist wieder gegangen. Die Frau hatte echt Power und kannte den Kunden auch schon.
Eine ganz tolle Erfahrung war (es gibt bestimmt viele, aber die fällt mir gerade ein) mit einem Mann mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Er war von Selbsthass zerfressen, hat lange mit sich gehadert und sich dann zu mir getraut. Er war ein sehr übergewichtiger Mann, aber früher auch schon magersüchtig - hatte also schon viel hinter sich. Er hatte drei Stunden gebucht, weil er wusste, er würde sehr lange brauchen, um Nähe zulassen zu können. Nach einer Stunde reden und Wein trinken haben wir es dann geschafft, uns ins Bett zu begeben. Ich war total vorsichtig, er ist immer mehr aufgetaut und es kam tatsächlich zum Sex mit ihm. Er hat es also geschafft, sich fallenzulassen und mir zu vertrauen. Und der schrieb mir im Nachhinein eine Email, in der er beschrieben hat, wie schön es für ihn war und wie dankbar er mir ist. Da sind mir echt die Tränen gekommen.

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Was wünschst du dir?
So etwas in die Richtung wie das neuseeländische Modell. Weder Sexworker noch Kunden werden dort kriminalisiert.

Was/welche Begabung/ welcher Charakterzug ist notwendig/förderlich um in der Sexarbeit Erfolg und Spaß zu haben?
Eine gewisse Offenheit und Neugierde auf Menschen. Und dass man in der Lage ist, den Menschen einfach so anzunehmen, wie er ist. Und nicht zu erwarten, dass er meinen Bedürfnissen gerecht werden sollte. Und natürlich braucht man ganz viel Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen, man sollte Menschen recht schnell einschätzen können. Denn wenn du das kannst, kannst du auch schnell eine Bindung, eine Beziehung aufbauen und auch relativ schnell eine gewisse Tiefe erreichen. Man sollte herauszufinden können, was will der eigentlich hier? Ich erfasse das intuitiv, das ist so ein Gefühl und geht mit der Erfahrung ziemlich schnell.
Wenn man das nicht kann, empfiehlt es sich, in einem geschützten Rahmen, wie z.B. in einem Bordell zu arbeiten. Wo es gar nicht so sehr um die Beziehung geht, die man miteinander eingeht, als mehr um das Körperliche.

Wie ist dein Privatleben bezüglich Sexualität?

Ich bin bisexuell. Aktuell habe ich zwei Beziehungen, eine mit einem Mann, eine mit einer Frau.
Mein Freund und ich, wir interessieren uns für alternative Beziehungsprojekte und finden beide das Polyamore sehr spannend und sind davon überzeugt, dass man gleichzeitig Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen haben kann. Liebe ist so etwas Schönes, das sollte nicht eingesperrt und auf eine Person beschränkt sein müssen. Und das wäre auch für die eine Person gar nicht so gut, denn die hat ja dann alle Rollen, die sie erfüllen muss: FreundIn, PartnerIn, vielleicht noch Mutter/Vater, SexpartneriIn usw. Und ich glaube, dass
das Polyamore auch lebbar ist. Ich sage nicht, dass es einfach ist. So lange das ehrlich abläuft, bin ich auch nicht eifersüchtig. Es muss allerdings Regeln geben, an die sich beide halten.
Mit meinem jetzigen Freund lebe ich zusammen und wir sind übereingekommen, dass wir erstens mit anderen Sex haben können, ohne dass es sich auf die Gefühle zum Partner auswirkt und dass wir zweitens auch Liebesgefühle oder zärtliche Gefühle zu anderen Menschen haben können. Das ist etwas Schönes und wir gönnen uns das gegenseitig und können uns für den anderen freuen. Wir sind beide sehr neugierig darauf, was das mit unserer Beziehung macht. Natürlich ist das eine Herausforderung. Wir reden unheimlich viel, auch das kann anstrengend sein. Wir müssen die Grenzen immer wieder neu aushandeln. Ich glaube, eine standfeste Beziehung lebt davon, dass man sich nicht drauf verlässt, dass es immer so bleibt, wie es ist.
Mit meiner Freundin ist es noch sehr frisch und noch keine so tiefe Liebe. Wir sind verknallt ineinander und es ist sehr schön. Wir sehen uns circa einmal pro Woche.

DANKE GUIDO