Sexarbeit - Agnes Winter

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Agnes Winter Interview

Was ist dein Fachgebiet? 
Ich arbeite als Domina. Nicht berührbar, aber nahbar.

Welche Leistungen erbringst / welche Wünsche erfüllst du? 
Meine Schwerpunkte sind Latex, hier besonders Heavy Rubber. Der Spielbereich ist weit: Masken- und Atemreduktionsspiele, extreme Fesselungen bis zur völligen Bewegungslosigkeit oder Ruhiges mit leichter Fixierung und Massagen. Der andere Schwerpunkt ist das Klinikum mit unterschiedlichen Formen der Untersuchung unter Einsatz diverser Materialien und Gerätschaften.
Ich bin die freundliche Domina, die durchgreift und straft, wenn es nötig ist: Erziehung, Rollenspiele und die Verantwortung übernimmt, wenn diese abgegeben werden möchte.
Ich liebe kleine gemeine Spiele und zu sehen, wie Lust sich entwickelt, ansteigt um das Finale immer wieder herauszuzögern oder auch ganz zu verweigern.

Wie ist dein Werdegang – wie und warum bist du zur Sexarbeit gekommen? 
Ich bin als Domina tätig und habe mein Hobby erst zur Nebentätigkeit und dann zum Hauptjob gemacht. Meine Schwerpunkte Latex und Klinik haben sich im Laufe der Zeit (weiter)entwickelt.
Auszug aus meinem Tagebuch:

„Montag, 20. Juni 2016
. Tage vor meinem ersten Anruf habe ich mich in Foren schlau gelesen: Wie sieht eigentlich eine Anzeige in der Zeitung aus, in der eine „Kollegin gesucht“ wird? Unauffällig jedenfalls, also achte ich auf die zwei Schlagworte. Samstagsausgabe der Presse, die Rubrik heißt „Weiteres“ oder so ähnlich. Und da finde ich genau so was: „Studio sucht a/p Koll.“ Fix mit der Telefonnummer recherchiert und ich weiß, wo das Dominastudio ist.
In einem Cafe, fünf Zigaretten und einen großen Kaffee später rufe ich an. Entgegen meiner Erwartungen will die Frau mit der sympathischen Telefonstimme nur wissen, ob ich schon in einem Studio gearbeitet habe. Nach meiner Verneinung und der schnell eingeschobenen Information „nur privat und auf Parties“ bin ich auch schon für zwei Tage später zur Vorstellung ins Etablissement bestellt. „Ok, super, danke!“ Ich habe mittlerweile aufgehört zu rauchen und Kaffee zu trinken.“

Wie bist du dann konkret zum ersten Kunden gekommen? 
„Lady Agnes, unberührbare Jung-Domina“, so also meine Benennung in der ersten Anzeige. Meinen Nachnamen habe ich mir erst Jahre später zugelegt und lange überlegt und ich war schon froh, als das „jung“ endlich gestrichen wurde.
Ich hatte das Glück, von einer Kollegin eingearbeitet zu werden, sie hat mich zu ihren Gästen dazu geholt. Meist nur eine kurze Zeit, aber Handgeld gab es immer. So hatte ich dann auch bald meinen eigenen „ersten Gast“.

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Wie war dieses erste Mal? 
An den ersten Kunden kann ich mich kaum erinnern, wohl aber, dass ich furchtbar aufgeregt war und meine Kolleginnen mir Mut zugesprochen haben. Eine 30-Minuten Session im großen dunklen Studio. Es lief gut und ich war schon etwas stolz auf mich.

Wie ging es dann weiter? 
Ich habe weiter im Studio gearbeitet, immer neben der Arbeit. Von der Nebentätigkeit habe ich nur wenigen Leuten berichtet und ich war in den Anzeigen in Print und im Internet immer so abgebildet, dass mein Gesicht nicht zu sehen war und auch auf gar keinen Fall irgendein Tattoo.
Besonders in der Anfangszeit hatte ich viel Austausch mit Kolleginnen im Studio, was auch im Nachhinein betrachtet sehr gut war.
Eine Vorliebe für Masken und Latex hatte ich bereits ins Studio mitgebracht, diesen Fetisch habe ich weiter ausgebaut. (Weiter-)Bildungen im Bereich Klinik, Bondage und eine Ausbildung zur Wellnessmasseurin haben zur Fokussierung meines Dienstleistungsangebots geführt.

Bist du Haupt - oder nebenberuflich Sexworker? 
Seit Herbst 2022 bin ich nun hauptberuflich Domina und habe im Frühjahr 2023 das Studio übernommen, in dem ich die ganzen Jahre gearbeitet habe.

Was magst du besonders an der Sexarbeit? Was magst du nicht? 
Ich mag das ProstSchG in seiner vorliegenden Form nicht, den Zwang einen „Hurenpass“ haben zu müssen. Ich mag nicht, wie Sexworker diskriminiert werden, weil sie Sexworker sind.
An meinem Arbeitsplatz bin ich als weiße Frau mit deutschem Pass keinem Rassismus ausgesetzt, Kolleg*innen ohne diese Privilegien erfahren ihn permanent.
Wann gibt es ein gutes Selbsbestimmungsgesetz?
Ich mag auch nicht alle Gäste, es kann sein, dass ich eine Session abbreche -was selten vorkommt. Oder der Person mitteile, dass sie bei mir keine Termine mehr machen kann. In der Regel reden wir darüber, doch rassistische Sprüche und Schlechtmachen von Kolleg*innen mag ich nicht hören.
Ich bin froh, eine Struktur zu haben, wo ich mich austauschen kann (KollegInnen vor Ort, Beratungsstelle Phoenix in Hannover und den Berufsverband BesD).
Ich habe ein gutes Verhältnis zu mir gefunden und stelle mich nun auch mit Gesichts- und Körperbildern dar, mittels derer ich wiederzuerkennen bin. Auch habe ich mein Alter den tatsächlichen Angaben angepasst.

Gibt es besonders eindrückliche Erlebnisse im Zusammenhang mit deiner Sexarbeit? 

Es gibt ganz zauberhafte Momente mit Gästen, die mir das Herz aufgehen lassen.
Von sehr verletzlichen Momenten der Lust aber auch, wenn von Erlebnissen z.B. aus der Kindheit berichtet wird. Sehr heftige Erlebnisse z.T., die ich auch verarbeiten muss und ich bin froh, FreundInnen und KollegInnen zu haben. Es ist gut und wichtig, dass KundInnen erzählen können, doch müssen SW auch auf ihre Gesundheit achten. Durchaus verarbeiten Menschen ihre Erlebnisse durch den Besuch etwa eines Dominastudios, jedoch lässt sich nicht jeder Kink durch Traumata in der Kindheit begründen.  

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Was wünschst du dir? 
Solidarität und Unterstützung unter den Sexworkern, keine Stigmatisierung aufgrund des Jobs – als Domina bin ich in privilegierter Position, das ist mir klar- auf allen Ebenen. Sei es bei ÄrztInnen, dem Eröffnen eines Geschäftskontos, als Person mit Kind, ...
Respekt von den KundInnen.

Was/welche Begabung / welcher Charakterzug ist notwendig/förderlich um in der Sexarbeit Erfolg und Spaß zu haben? 
Erfolg muss nicht immer mit Spaß einher gehen.
Es ist wichtig, sich fortzubilden, zu lernen und sich auszutauschen. Das ist nicht immer umsonst, in Weiterbildungen sollte aber investiert werden.
Auf sich selbst achten ist dringend notwendig, denn auch KundInnen können scheiße sein und es ist wichtig, sich auch schützen zu können.
Neugierde und Offenheit.
Manchmal Jobs durchzuziehen, auch wenn sie nicht so viel Freude machen – hier eben professionell agieren können.
An Menschen und ihren Geschichten interessiert sein und zuhören können.
Auf Menschen eingehen können, die eigenen Bedürfnisse nicht in den Vordergrund stellen (it is a job!) aber dennoch die eigenen Grenzen wahren. Freundlichkeit – ja, auch als Domina.
Kollegial handeln und Hilfe annehmen und geben können.

Wie ist dein Privatleben bezüglich Sexualität? 
Ich l(i)ebe panseuell.

Wie ist deine Meinung über dich? 
Ich bin gut mit mir. Ich habe einen tollen Freund*innenkreis, der mich in meiner Tätigkeit als Domina unterstützt. Das Thema älter werden beobachte ich mit Interesse und manchmal mit etwas Belustigung: ich bin nun auch 48, die KundInnen altern mit mir und KollegInnen ebenso. Das Interesse an erfahrenen und älteren SW ist gegeben – das bestätigen ja auch andere KollegInnen. Ich bleibe neugierig.

Wie ist deine Meinung über deine KundInnen? 
Ich begegne ihnen freundlich und aufgeschlossen. Ich höre zu, lenke das Gespräch, um zu erfahrenen, welche Dienstleistung die Person möchte bzw. braucht aber vielleicht noch nicht genau benennen kann.
Meine Rolle als Domina ist hier nicht gefragt: ich spreche mit den KundInnen auf Augenhöhe und erwarte das auch von ihnen.

Wie ist deine Meinung im Allgemeinen über Menschen? 
In meinem Job bin ich Wunscherfüllerin, ich möchte nicht alles über die Person wissen. Mit der Session erschaffe ich eine Illusion, in der ich mich mit den KundInnen bewege. Am Anfang oder auch in der Nachbesprechung kann über Persönliches gesprochen werden, was über die Absprache zur Session hinausgeht. Wird jedoch schlecht über KollegInnen geredet, oder werden rassistische Sprüche gemacht, ist das Gespräch beendet.
Meine Meinung allgemein über Menschen ist nicht immer gut, im Studio bestimme jedoch ich die Atmosphäre und Stimmung. Es ist mein Ort und es gelten meine Regeln.

Was bedeutet Sex für dich – WAS IST SEX? 
Die Beteiligten definieren, was Sex ist.
Die KundInnen haben mit mir als nicht berührbare, aber nahbare Domina keinen Sex, vielleicht empfinden die Personen es, dass ich Sex mit ihnen habe. 

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DANKE GUIDO